Vorwort
"Von 'Bild' unterstützt zu werden, das ist heute - im Gegensatz zu früher - weniger denn je eine Garantie, Erfolg zu haben", sagt Günter Wallraff im Interview mit den Autoren der vorliegenden Studie zu einem Zeitpunkt, als Karl-Theodor zu Guttenberg noch Dr. zu Guttenberg hieß und Verteidigungsminister war. Von "Bild" attackiert zu werden, dieses Risiko scheuen aber immer noch viele Prominente in Politik, Wirtschaft, Sport und Showgeschäft und sagen bei Anfragen des Blattes, sich beispielsweise an seiner Image-Kampagne zu beteiligen, lieber zu.
"Die 'Bild'-Zeitung ist ein gefährliches politisches Instrument - nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda", schreibt Judith Holofernes mutig in einem Absagebrief an die Werbeagentur Jung von Matt, die "Wir sind Helden" für die großangelegte Image-Kampagne der "Bild"-Zeitung gewinnen wollte.
Wie ungeschminkt "Bild" Politik zu machen versucht, hat ihre kampagnenartige Berichterstattung über die Griechenland- und Eurokrise 2010 besonders deutlich werden lassen. Die "Bild"-Studie der Otto Brenner Stiftung untersucht die Veröffentlichungen des Springer-Flagschiffes zu diesem Thema: Der präzise Blick auf die Details der Darstellung und Gestaltung, aber auch die konzeptionelle Gesamtsicht auf das Produkt "Bild" und die medientheoretische Einordnung der "werktäglichen Veröffentlichung" fügen sich zu einer Analyse, die "Bild" in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Die Studie zeigt: Wenn man "Bild" und ihren Erfolg verstehen will, dann darf man nicht mit den politischen Absichten und Auswirkungen des Springer-Blattes beginnen - aber man darf sie auch nicht übersehen. Denn Aufmerksamkeit und Wirksamkeit gewinnt die "Bild"-Zeitung nicht nur durch ihre aufreizende Machart, ihre offensive Selbstvermarktung und ihre wirtschaftliche Expansion, sondern auch durch ihre Inszenierung als "Volksstimme".
Mit der "Bild"-Studie will die Otto Brenner Stiftung einen weiteren Beitrag zur Diskussion über den Zustand und die Zukunft der demokratischen Öffentlichkeit leisten. Für eine informierte, aufgeklärte und kritische Öffentlichkeit gibt es keinen Ersatz. Je mehr sie fehlt, desto weniger Kraft hat die Demokratie, desto breiter und bequemer werden die Wege für machthungrige Lobbyinteressen und ungerechte Herrschaftspraktiken. Die Massenmedien sind die Träger der modernen Öffentlichkeit, der Journalistenberuf setzt die Maßstäbe. Deshalb hängt es von der Qualität der journalistischen Arbeit entscheidend ab, wie viel Demokratie in einem Land gewagt wird. Deshalb stellt sich auch die Frage, ab wann eine Veröffentlichung, selbst wenn sie als Tageszeitung auftritt, nicht mehr als journalistische Leistung qualifiziert werden kann.
Wenn "Bild" inzwischen als "Leitmedium" gilt, sich selbst in der politischen Mitte verortet, seine Vertreter in der Rolle als Analytiker von politischem und gesellschaftlichem Geschehen wie selbstverständlich neben Vertretern angesehener Qualitätsmedien in Talkshows sitzen, wenn Chefredakteur Kai Diekmann reklamiert, die politische Agenda dieser Republik mitzubestimmen - dann hat sich in den letzten Jahren etwas verschoben. Denn dann hat inzwischen ein Massenmedium auf die politische Öffentlichkeit Einfluss gewonnen, das mehr in der Welt der Werbung, der PR und des Marketings zu Hause ist als im Journalismus. In der "Bild"-Studie von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz wird mit dieser Deutung eine "starke These" aufgestellt und versucht, diese durch zahlreiche Beispiele empirisch zu belegen. Die Otto Brenner Stiftung will mit dieser Veröffentlichung einen produktiven Anstoß geben und einen Beitrag zur Diskussion vorlegen. Eine intensive Debatte über die neue Sicht auf "Bild" halten wir für ebenso hochaktuell wie absolut notwendig.
Die Mediengeschichte wird mit der Ausbreitung des Internets neu geschrieben. Wir können noch nicht wissen, welche langfristigen Folgen diese Revolution haben wird. Aber wir können etwas dafür tun, dass Fehlentwicklungen der Vergangenheit nicht einfach fortgeschrieben werden. Der Versuch der "Bild"-Zeitung, sich selbst an die Stelle der öffentlichen Meinung zu setzen und als Sprachrohr des politischen Mainstreams aufzutreten, ist in den letzten Jahren ungenierter geworden. Der Selbstverständlichkeit, mit der "Bild" in Deutschland die Rolle des massenmedialen Platzhirsches einnimmt, muss widersprochen werden.
Wir hoffen, mit unserer "Bild"-Studie für diese überfällige Debatte gute Argumente zu liefern und Ergebnisse präsentieren zu können, die zu einem veränderten Blick auf "Bild" einladen.
Frankfurt/Main, im März 2011, die Geschäftsführung der Otto Brenner Stiftung